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Ludwig Rubiners1 "Psychoanalyse"
Ich habe vor vielen Jahren auf dem Salzburger Psychoanalytikerkongress2 von der Perspektive gesprochen,
die sich mit der Entdeckung des "psychoanalyanalytischen
Prinzips" d.h. der Erschliessung des Unbewussten auf die
Gesamtprobleme der Kultur und den Imperativ der Zukunft richtet.
Es ist mir damals von S. Freud erwidert worden: Wir sind Aerzte
und wollen Aerzte bleiben.
Wir wissen heute, wie unendlich grösser die Gabe gewesen
ist als es der Schenkende selbst zu hoffen sich gestattet hat.
Heute ist uns die Psychologie des Unbewussten die einzige und
erste sichere Gewähr für wirkliche Antworten auf wirkliche
Fragen und richtige Wege zu richtigen Zielen es gibt bereits
ein Organ, das auf dieser Basis die ersten, wenn auch unsicheren
Schritte versucht. Die Literaten vermögen allerdings noch
zu glauben treuherzig und simpel: "Wichtig ist nur
ihr brutal praktischer Nutzen, der Heilerfolg."
Wir aber meinen: dass jetzt der Mensch sich selbst
erkennen kann, dass jetzt die Menschen hoffen dürfen und
erstreben müssen, einander zu verstehen, dass so die unendliche
letzte Einsamkeit um den Einzelnen herum überwindbar wird,
dass eine Ethik mit wirklichen Lebenswurzeln sich ankündigt,
das ist ihr praktischer Erfolg.
Selbstverständlich war es die Kunst, welche bisher allein
der Erkenntnis der unbewusst psychologischen Zusammenhänge
vorangeleuchtet hat, und es wird auf die Kraft des Künstlers
ankommen, wieder auf neuen Erkenntniswegen voranzugehen. Eine
Kunst, die sich nicht traut, durch die letztmöglichen Fragen
der Unbewusstseinspsychologie hindurchzugehen, ist nicht mehr
Kunst.
Wir, die wir über die Einsamkeit hinauswollen, glauben
nicht mehr, dass der gesetzgeberische Geist der schöpferische
sein wird allerdings: die Idee an sich ist vergewaltigend,
sie zwingt sondern wir glauben, dass nur die Idee, die
jenseits der Einsamkeit, d.h. in der Liebe ist, schöpferisch
und frei, also freier Geist sein wird. Der freie Geist,
der nicht in der freien Liebe ist, wird immer konservativ oder
zersetzend sein, Gott oder Teufel, aber niemals freier Geist.
Ludwig Rubiner verrät einen verhängnisvollen Irrtum,
indem er die Frau dem freien Geist gegenüberstellt. Wir
glauben, dass jene Revolution die erste und wirkliche sein wird,
die Frau und Freiheit und, Geist in eins zusammenfasst.
(1) Expressionistischer
Schriftsteller (1881 1920), der gegen Gross in Die Aktion
polemisiert hatte
(s. Psychoanalyse, Die Aktion, III.Jg.,
Nr. 19, 7. Mai 1913, Sp. 483). Anm.d. Hg.
(2) 27. April
1908. Anm.d. Hg.
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