Die geistvolle Arbeit
(1), welche unter dem gleichen Titel in diesem Centralblatt erschienen
ist, hat mich angeregt, derselben noch eine Bemerkung beizufügen.
W i z e l erläutert die paralytischen Wahnvorstellungen
als "das Resultat zweierlei psychologischer Ursachen":
1. der Neigung zu Wahnbildungen, 2. der Beeinträchtigung
des Zeit- und Raumsinnes.
(1) Von Dr. Adam Wizel, Neurolog. Centralbl.
1903. Nr. 14 u. 15.
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Bei seiner werthvollen
Analyse verzichtet er ausdrücklich auf die Untersuchung
"der Frage, wie der Wahn entsteht". An diese letztere
Frage nun möchte ich meinerseits eine ergänzende Bemerkung
knüpfen.
Ich glaube, dass der Modus der Wahnentstehung bei der Paralyse
ein eventuell anderer ist, als bei den functionellen Geisteskrankheiten.
Man dürfte im Allgemeinen zu der Definition berechtigt sein:
Wahnideen sind Schlussfolgerungen aus psychopathischen inneren
Erlebnissen.
Die specifischen Wahnideen bei der Paralyse nehmen dagegen eine
Sonderstellung ein dadurch, dass sie nicht als Erklärungsideen
entstanden sind.
In der Psychologie, in der man heute noch leider nur über
eine instrospective Terminologie verfügt, bezeichnet man
den Unterschied zwischen Urtheil und Annahme als bestimmt durch
das Vorhandensein oder Fehlen des Geltungsgefühles.
Die Alteration dieses Geltungsgefühles muss naturgemäss
zur Desorientirtheit darüber führen, ob auftauchende
Vorstellungscomplexe dem Inhalt nach der Wirklichkeit oder der
Phantasie angehören. Wir beobachten solche Störungen
im hysterischen Ausnahmszustand, wo Vorstellungscomplexe durch
Autosuggestion ein pathologisches Geltungsgefühl erhalten.
Hier haben wir es mit einer systematisirten Reizerscheinung (im
weitesten Sinne des Wortes) zu thun.
Auf wesentlich anderem Wege kommen Störungen des Geltungsgefühles
bei eigentlichen Trübungen des Bewusstseins als Lähmungserscheinung
zu Stande. Man kann sich davon durch die Erinnerung an Träume
und Halbschlaf eine introspective Vorstellung machen.
Durch ähnliche Störungen des Geltungsgefühles
dürften auch die specifisch paralytischen Wahnideen entstehen.
Wenn z. B. ein manischer Paralytiker erzäht, vor dem Hause
stehe sein Viererzug und vor der Stadt besitze er ein prachtvolles
Schloss, so ist die Bildung dieser Wahnidee durch denselben Vorgang
veranlasst wordem, den wir im Alltagsleben als "Luftschlösser
bauen" bezeichnen, d. h. also durch das Spiel der Phantasie.
Soche Phantasieproducte bleiben beim Normalen ohne Geltungsgefühl
und das Vorgestellte nähert sich dem Typus der "Annahmen"
M e i n o n g ' s. Beim Paralytiker ist die Regulirung des Geltungsgefühles
gestört; und da die Ueberzeugung, Schlösser und Pferde
zu besitzen, der momentanen Stimmung des Kranken entspricht,
so wird das Product der Phantasie ohne weiteres vom Geltungsgefühl
betont, die "Annahme" wird zum Urtheil, zur Wahnidee.
Die specifische Wahnbildung bei der Paralyse liesse sich auf
diese Art ziemlich einfach durch Wegfall der Regulirung des Geltungsgefühles
erklären.
Das Gesagte bezieht sich natürlich nur auf die bekannten
und specifischen der Paralyse fast allein zukommenden Formen
der Wahnbildung. Es ist selbstverständlich, dass auch der
gewöhnliche Typus der Wahnidee, der Erklärungswahn,
bei Paralyse vorkommen kann.