Im Epstein-Schwalbe'schen Sammelwerk (1900) finden sich die verschiedenen
Theorien über die Beziehungen zwischen Nierenleiden und
secundärer Herzhypertrophie zusammengestellt und wird dabei
darauf hingewiesen, dass namentlich die Combination von Polyurie
und Herzhypertrophie bei der Schrumpfniere theoretische Schwierigkeiten
bereitet. Vielleicht liessen sich letztere zum Theil dadurch
vermindern, dass der Begriff der Polydipsie zur Erklärung
herangezogen wird.
Einige Stoffe
verdanken ihre diuretische Wirkung ganz oder theilweise ihrer
dursterregenden Eigenschaft (scharfer Käse etc.); ähnlich
dürften gewisse Vorstufen der durch den Urin ausscheidenden
Stoffwechselproducte wirken.
Die durch
den Ausfall functionirender Nierensubstanz bei der Schrumpfniere
gesetzte Behinderung in der Wasserausfuhr wird leicht behoben,
einerseits durch Steigerung der Herzhätigkeit, andererseits
wirken vielleicht die durch jede einzelne von den übrig
gebliebenen Nierenzellen in relativ vergrösserter Menge
durchgehenden festen Harnproducte als Diuretica, d. h. als Reiz
zum Durchlass grösserer Wassermengen (cfr. Urea pura medicamentös
als Diureticum!). Weniger vollständig aber ist die fast
nur durch die vicariirende Thätigkeit der restirenden Nierenpartien
erfolgte Ausscheidung der festen Harnsubstanzen, so dass wir
uns - quantitative gleiche Harnmenge wie beim Gesunden vorausgesetzt
- das Blut noch Vorstufen dieser festen Harnproducte enthaltend
denken müssen. Die im Blut circulirenden, auch auf den Verdauungsschleimhäuten
sich ausscheidenden Körper scheinen nun (ähnlich den
aromatischen Substanzen im scharfen Käse) einen Reiz zu
vermehrter Wasserzufuhr - Durstgefühl - auszulösen;
diese Annahme erscheint nicht unberechtigt, wenn bedacht wird,
dass eine Steigerung der geschilderten Blutbeschaffenheit, die
eigentliche Urämie, mit noch viel stärkeren Reizerscheinungen
gerade gastraler Natur vor sich geht. Die erhöhte Flüssigkeitszufuhr
bedingt nun eine stärkere "Durchspülung"
der Nieren und diese wieder die Elimination der überschüssigen
festen Harnsubstanzen; anderseits erklärt die nothwendiger
Weise mit einhergehende Plethora, besonders bei der erschwerten
Ableitung durch die Nieren, ungezwungen die Steigerung des Blutdruckes
und die Hypertrophie des Herzens. Diese beschränkt sich
auf den linken Ventrikel, denn in den schlaffen Gefässen
des Lungenkreislaufes kann das Blut dem gesteigerten Druck leichter
ausweichen, als in den straffen Arterien und Geweben des Körperkreislaufes.
Die Durchspülung
der Nieren mit grösseren Wassermengen, beziehungsweise die
vermehrte Wasserzufuhr erscheint als ein Vorgang von Selbsthilfe
des Organismus, die Herzhypertrophie als dessen nothwendige Begleiterscheinung.
Ich glaube,
dass ein allfälliger Widerspruch der obenstehenden Auffassung
mit Norden's Anschauungen über die Einschränkung der
Flüssigkeitzufuhr bei der Schrumpfniere nur ein scheinbarer
sein kann. Norden ("Zur Behandlung der chronischen Nierenkrankheiten"
in der "Therapie der Gegenwart". 1899, pag. 243) räth,
die Flüssigkeitsmenge bei Schrumpfnierenkranken zur Bekämpfung,
beziehungsweise Prophylaxe der Herzschwäche auf ein bestimmtes
Maximalmass zu beschränken; es beruht der oben erwähnte
Zusammenhang zwischen der Plethora ex Polydipsia und der dadurch
bedingten Herzhypertrophie auf demselben Princip, wie der von
Norden entdeckte Zusammenhang zwischen der Flüssigkeitszufuhr
und der Erlahmung des durch die Flüssigkeitsmenge überangestrengten
Herzens. Dass Norden bei seinen bahnbrechenden Versuchen trotz
der Verminderung der Flüssigkeitszufuhr keine Verminderung
der festen Harnbestandtheile sah, erklärt sich wohl auf
verschiedene Weise: Einerseits sinkt, wie Norden selbst erwähnt,
unter dem Durstgefühle der Appetit, andererseits wohl auch
(vgl. Oertel-Cur) die resorptive Ausnützung der Nahrung;
ferner setzen vielleicht die Patienten instinctiv durch Beschränkung
der Muskelthätigkeit den Zerfall von Körpereiweiss
herunter; endlich werden allerdings möglicher Weise die
von mir angenommenen dursterregenden Substanzen total durch die
Dursterregung ausgeschieden; dann wäre die Dursterregung
eine Erscheinung ohne "teleogische" Bedeutung, wobei
natürlich der effective Einfluss der Polydipsie auf Blutdruck
und Herz derselbe bleibt, wenn keine therapeutische Beschränkung
der Flüssigkeitszufuhr eintritt.
Am besten
könnte man die Sache so formuliren: Die vom Organismus durch
das Durstgefühl geforderte Durchspülung ist ein zweischneidiges
Schwert; einerseits erleichtert sie die Elimination, andererseits
belastet sie den Herzmuskel. Im Falle der drohenden Erlahmung
des letzteren ist es das kleinere Uebel, auf Kosten der Durchspülung
das Herz zu entlasten, da der Organismus für die Elimination
eventuell noch vicariirende Excretionswege finden, ein kräftiges
Myocard aber unmöglich entbehren kann.
Endlich möchte
ich noch dem allfälligen Einwand, dass nach dem oben Gesagten
das gleiche Durstgefühl bei jeder Nephritis eintreten müsste,
durch die Bemerkung begegnen, dass der hydrämische respective
ödematöse Zustand bei der Nephritis dem Entstehen einer
Polydipsie andere Bedingungen entgegensetzt, als die Schrumpfniere
bei ungehinderter Wasserausfuhr.