Camilla Ullmann, 1997
(Photo: Gottfried Heuer)
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Am 28. Mai dieses Jahres ist Camilla Ullmann nach kurzer Krankheit
in Hamburg gestorben. Sie war die Tochter von Otto Gross und
der schweizer Schriftstellerin Regina Ullmann (1884 - 1961).
Camilla Ullmann wurde am 18. Juli 1908 in München geboren.
Sie arbeitete als Kindererzieherin und Krankenschwester und lebte
seit den 30er Jahren zusammen mit ihrer Lebensgefährtin
Maria Becker in Norddeutschland. Sie wurde in Feldkirchen bei
München begraben, wo sie bei Pfleegeltern aufgewachsen war.
Der folgende Text ist ein Auszug aus einem
Interview, das Gottfried Heuer mit ihr im Sommer 1997 führte.
Camilla Ullmann wurde kurz nach ihrer Geburt
zu Pflegeeltern gegeben. Ihr Pflegevater war Tischler. Sie erinnert
sich: "Wir haben in den Ferien Versteck gespielt in den
Särgen ..." Else Jaffé hatte versucht, Camilla
in ihre eigene Familie zu integrieren. "Das sind wir Otto
Gross schuldig!" hat Frau Ullmann sie immer wieder sagen
hören, und sie erzählt: "Man hat gedacht, nicht,
dieses Kind von Otto Gross darf nicht verlorengehen!" (lacht).
"Nicht, so ungefähr hat man sich's vorgestellt."
Aber die Welt, in der sie aufgewachsen war, war eine andere als
die von Else Jaffé. "Vielleicht hat man gehofft,
da könnt' noch was draus werden, nicht wahr? ... Die Welten
haben sich nicht ganz vertragen ... Ich war bei einfachen Pflegeeltern
... Das bäuerische Element ist auch noch'n bißchen
dazugekommen und hat die ganze Sache in eine andere Richtung
getrieben." Sie blieb bei ihren Pflegeeltern, bis sie vier
Jahre alt war, dann kam sie in ein katholisches Internat. "Das
ist dann ein absolut katholischer Blickpunkt gewesen." Camilla
Ullmann besuchte die Familie Jaffé oft während der
Schulferien. Alle vier Wochen durften die Schülerinnen Besuch
bekommen. Manchmal kam ihre Mutter. "Da hab ich immer sehr
drunter gelitten, meine Mutter hatte immer soÌn Ausschnitt,
der für das Kloster nicht paßte. Und ich dachte: 'Kann
sie nicht Kleider tragen wie normale Leute?!'"
Nachdem sie einige Zeit eine Hauhaltsschule
besucht hatte, wurde Camilla Ullmann bevor sie zwanzig war für
ein paar Jahre nach England geschickt, um die Sprache zu lernen.
Sie wohnte in Brighton "bei einer Dame, die Quäkerin
war, oder jedenfalls, ich meine, sie war vielleicht keine absolute
Quäkerin, aber im Geiste der Quäker". Sie bestand
eine Prüfung in Manchester und bestand dann ihr Abitur in
London machen. Sie arbeitete etwas als Krankenpflegerin flegerin
in England und ging dann als Kindermädchen zurück nach
Deutschland, wo sie bei Familien in Berlin und Hamburg wohnte.
In Hamburg begann sie dann eine reguläreAusbildung als Krankenschwester.
In den 30er Jahren traf sie dort an der Schwesternschule Maria
Becker. Sie wurden Freundinnen und zogen zusammen. "Da ich
nicht stubenrein war für die Nazis, konnte ich mein Krankenpflege-Examen
nicht machen ... Meine Mutter war nicht 'arisch'". Camilla
Ullmann ging nach München, um dort an Krankenhäusern
zu arbeiten, während Maria Becker in Norddeutschland blieb.
Erst nach dem Krieg konnte Camilla Ullmann ihr Examen machen.
Und sie traf Maria Becker wieder und hat seitdem mit ihr in der
Nähe von Hamburg zusammengelebt. "Sie hat meine Schwächen
mitgetragen und auch mein Gutes mitgetragen. Wenn man schon allein
im Leben steht, dann ist Freundschaft sehr sehr toll!"
Frau Ullmann hat ihre Mutter nicht wirklich nach ihrer Beziehung zu Otto Gross fragen können. "Da mußte ich meine Mutter schonen ... Meine Mutter konnte und wollte nicht darüber sprechen. Ich hab' das auch respektiert - es blieb mir ja auch nichts anderes übrig." Während der letzten Monate ihres Lebens pflegte Camilla Ullmann ihre Mutter, bis diese 1961 starb.
"Was habe ich von meinem Vater? Es ist
da doch eine Wärme, für die ich auch dankbar bin."
Über Otto Gross sagt sie: "Der hat dann schlechte Manieren
gehabt und die wollten sie dann nicht mittragen, die anderen
Psychoanalytiker; oder er hat doch eben in ein Extrem geführt.
[Und das war] auch gut, daß das dann nicht gemacht worden
ist, denn das war einerseits, glaube ich, sehr tief kreativ,
und andererseits sehr destruktiv, wennÌs in die falschen
Hände kam ... Der hat sich, glaub ich, selber den Weg abgeschnitten
... Aber mein Vater ist doch, wie ich herausgekriegt habe, ziemlich
totgeschwiegen worden von einer gewissen Kategorie von Menschen
und Wissenschaftlern." Ich erwähne Freuds Mahnung an
Gross: "Wir sind Ärzte und wollen Ärzte bleiben!"
Frau Ullmann antwortet: "Da hat Freud seine Grenzen gesehen,
glaube ich, seine eigenen Grenzen. Und da hat mein Vater gesehen,
daß er da wieder der Schöpferischere ist." Ich
beziehe mich auf Freuds Bedenken bezüglich der Grenzen geistigen
Eigentums und Frau Ullmann sagt spontan und mit Nachdruck: "Er
stiehlt! - Der schöpferische Mensch - Freud hat das so gespürt
- einerseits hat ihn das sehr gepackt, ... andererseits hat er
auch Angst gehabt. Einerseits berechtigt, und dann hat sich das
ja bei meinem Vater so entwickelt, daß er nicht mehr salonfähig
war, nicht? Das war die Zeit, wo er mit Morphium und allem möglichen
Drum und Dran. Und mein Vater war halt sehr neugierig und hat
das dann gleich gründlich gemacht, ... so, wie Freud und
Jung das nicht haben wollten. Die waren [sich] irgendwie zu gut
dazu ... Aber das ist natürlich ein gefährlicher Weg,
und ich glaube, da hat mein Vater nicht die Grenzen gekannt oder
halten können danach ... Aber daß Otto Gross manches
angelastet wird, das glaube ich schon, und manches ihm gestohlen
wird, was er schöpferisch eigentlich herausgebracht hat
- wirklich herausgearbeitet hat."
"Er hat viel Unruhe hineingebracht in
dieses Jahrhundert und viel Fruchtbarkeit auch, geistige vor
allem. Und irgendwo hab' ich noch manchmal auch einen Schimmer
davon, wissen Sie, so'n Zipfel - ich merke: du hast mir nicht
nur Schweres in mein Leben gelegt, sondern auch etwas sehr Positives,
und das Ja-Sagen zum Leben! Eine Wärme muß mein Vater
gehabt haben ... Und er hat auch eine Reinheit gehabt ... Manchmal
sage ich: 'Mein lieber Vater, das habe ich von dir, daß
ich 'Ja' zum Leben sagen kann!'"
Als ich sie frage, ob ich ein Photo von ihr
machen könnte, antwortet sie: "Ja - wenn's Ihren Apparat
nicht zerreißt! . . . Ich könnt' auch die Zunge 'rausstrecken
- das wär schön!"